Zu Besuch beim Musikfestival in der Wüste Negev: IndNegev
Israel trägt eine große Last mit sich, die sich vor allen Dingen in den Köpfen vieler Vorbehalts-geplagter Menschen äußert. So werden die Augen von Freunden, Bekannten und Familienmitglieder groß, als ich ihnen von meiner Reise erzähle, und die Frage „Ist das nicht gefährlich?“, gefolgt vom plakativ dahingebeteten „Pass auf dich auf!“, lässt in der Regel nicht lange auf sich warten.
Dabei sind dieses Land und seine von Gegensätzlichkeit geprägten Kulturmetropolen Tel Aviv und Jerusalem nicht nur überraschend wenige Flugstunden von uns entfernt, sondern auch als Reiseziel viel attraktiver (und sicherer) als man meinen mag. Dieser Bericht soll mit Klischees und Ängsten aufräumen und das Land, seine offenen, stolzen Menschen, die schier überblickbare kulturelle Tiefe sowie das absolut großartige Essen auch auf deine Reiseziel-Liste bringen - am besten ganz weit nach oben!
... und die Musik!
Denn der eigentliche Grund der Reise ist etwas Besonderes für mich: Das InDNegev-Festival in der südlichen Negev-Wüste wird jährlich von mehr als 130 Bands und knapp 9.000 Besuchern mit großartiger Musik und einer von Sorglosigkeit geprägten Stimmung belebt. Ich bin selbst Musiker und Branchenmitarbeiter, habe also schon das eine oder andere Musikfestival gesehen – doch noch nie war es so, dass ich keinen der Künstler kannte.
Hier gibt es keine großen Namen, keine „Kings of Leon“ oder „Radiohead“, sondern ausschließlich Musiker aus Israel, die sich mal abseits, mal getreu entlang den westlichen Pop-Pfaden bewegen. Doch der Reihe nach; die ersten Tage verbringe ich in Tel Aviv ...
Tel Aviv
Weit weg wirken die Fernsehbilder vom Salven feuernden Militär und brennenden Straßen, als ich im hübschen, doch nicht zu protzigen „Crown Plaza“-Hotel mit direktem Meerblick ankomme.
Ich denke an das verregnete Berlin, als ich mich bei praller Sonne und 30 Grad durch die engen Straße bewege und mich dem ersten gustatorischen Lokalkolorit des Landes widme: dem Schawarma, ein vom Lamm- oder Hähnchenfleischspieß geschnittenes Wellness-Sandwich. Ganz anders als bei uns, das Brot weicher, das Fleisch intensiver (schärfer) gewürzt, ein echtes Messlatten-Schawarma.
Weiter geht’s mit dem Fahrrad die Küste entlang nach Jaffa, in die Altstadt, mit wunderbaren Moscheen und Kirchen, einem Hafen, dem landesweit bekannten Markt mit Lebensmitteln, Klamotten, allerhand Tinnef und Imbissen. Im Vergleich zu anderen, eher ausladenden Altstadt-Vierteln ist Jaffa recht klein, und doch kann man hier, dank der verwinkelten Straßen, gut und gerne einen halben Tag verbringen.
Wen der Hunger überkommt, kehrt am besten bei „Dr. Shakshuka“ ein. Den Doktortitel hat sich der stadtbekannte Korpulenzius selbst gegeben, macht er doch eines der besten Shakshukas der Stadt (eine deftig-würzige Tomatensauce mit pochierten Eiern, in das - wie in alles andere - Brot geditscht wird).
Danach geht’s am weiter auf den Rothschild Boulevard, eine Straße, welche der Tel Aviver als Pracht- und Vorzeigeallee handelt. Hier ist reges Treiben, unzählige (teils luxuriöse, teils „normalsterbliche“) Geschäfte pflastern die lange Straße. Gut zum Shoppen! Gepflegt essen kann man hier auch, zum Beispiel im „Social Club“, eines der berühmtesten mediterranen Restaurants der Stadt.
Zugegeben, das ist schon sehr lecker, aber eine gute Pasta macht man (oder ich) mir ich auch in Berlin, da treibt es mich doch eher in die urigen Lokale, frei nach Erich Kästner:
„Toren besuchen in einem fremden Land die Museen, Weise gehen in die Tavernen.“
„Port Sa’id“ ist so eine Perle: Hier wird mit den frischesten Zutaten ein modern interpretiertes israelisches Mezze aufgetischt. Einfach einige Teller und ein „Goldstar“-Bier bestellen, das Brot brüderlich teilen und wild zwischen den Gerichten herumditschen. So machen das auch die anderen jungen Israelis, die sich hier scharenweise herumtreiben. Vor allen Dingen das Hummus sowie die gekühlten Knoblauch-Bohnen sind wahnsinnig gut.
Wer immer noch nicht genug hat: Das Nachtleben von Tel Aviv ist berühmt-berüchtigt. Für einen Club bin ich zu kaputt, dann doch lieber ein Absacker in einer Bar. Da werden wir fündig: Das „Teder“ in einem tagsüber durch Märkte und Geschäfte bevölkerten Hinterhof bietet heute Live-Radio mit entspannter, elektronisch angehauchter Popmusik, dazu kühle Drinks und entspannte, offene und überaus hip gekleidete Israelis.
Der Laden scheint, wie so viele andere Bars und Clubs der Stadt, seinen Standort alle paar Wochen zu ändern – du solltest also vor deinem Besuch Google befragen.
Wer (immer noch) Hunger hat, der kann hier Pizza bestellen, neben dem Hähnchenschnitzel eines der angesagten Importe des Landes. Hier isst das J-E-D-E-R.
Tel Aviv ist außerdem die Stadt der Künstler, Maler und Galeristen; so zeigt die Ausstellung „Hipstory“ von Amit Shimoni berühmte Persönlichkeiten aus Politik, Pop und Religion im Hipster-Gewand.
Mir gefällt es hier so gut, dass ich gerne noch für ein bis zehn Bier bleiben könnte. Doch das Festival wartet, und ich vermute an dieser Stelle schon, dass ich heute Nacht etwas Schlaf „vorholen“ muss ... Vernunft siegt über Durst.
InDNegev Festival
Mit einem heiteren „Shalom!“ werden wir von den sympathischen Organisatoren des Festivals bei der Akkreditierung vor dem Gelände begrüßt. Und wie sich rausstellen soll, sind sie hier alle überaus freundlich und entspannt!
Das Festival, das sich vorrangig der alternativen Musikszene verschreibt und bewusst auf Bierwerbung und Top-Acts verzichtet, gilt als die größte und einflussreichste Musikveranstaltung des Landes und feiert dieses Jahr sein 10-jähriges Jubiläum.
2006 sah es hier noch anders aus: Ein paar Freunde hatten die Idee, ein bisschen Musik zu machen, fuhren mit einem Stromgenerator in die Wüste und luden ein paar Leute dazu ein. Das wuchs und wuchs, heute bevölkern knapp 130 Bands und 9.000 Leute das Gelände und tingeln zwischen den Bühnen, Imbissen und Kunstinstallationen umher.
Drei Wochen dauert es, die großen und kleinen Bühnen (sechs an der Zahl) samt Technik und Licht aufzubauen. Logischerweise hat sich das dreitägige Festival professionalisieren müssen, und dennoch wirkt hier keiner so, als müsse er einen „Job“ machen; jeder steht im Dienste der jungen und älteren Künstler, die hier auftreten.
Die Stimmung kann man als eine Mischung aus „Fusion“ und „Burning Man“ bezeichnen. Der schier endlose Wüstensand schafft eine ganz besondere, fast schon abgeschottete Atmosphäre; fern von allem denke ich hier nur an den Moment, eine kleine Parallelwelt.
Viele (im Laufe des Festivals stetig wachsende) Kunstwerke, Handgemachtes zum Verkauf sowie köstliches, vorrangig veganes Essen lassen dem Freigeist, nicht aber dem Kommerz genügend Platz zur Entfaltung.
Ich habe mich zwar mit einem Großteil der Bands befasst, am Ende lerne ich aber so viele Leute kennen, dass ich meinen Ablaufplan in der Tasche und mich von Dritten treiben lasse.
Die musikalische Qualität ist durchweg erstaunlich hoch, die Mischung aus hebräischer und englischsprachiger Musik ist ungefähr 50/50 - manchmal auch innerhalb eines Liedes. Hier eine Auswahl meiner persönlichen Highlights mit der unbedingten Empfehlung, reinzuhören:
Deaf Chonky
Der Festivaleinstieg: Zwei völlig durchgeknallte Mädels drehen die Uhr um 30 Jahre zurück und beleben den Punk-Geist, der bestimmt noch irgendwo in Berlin-Kreuzberg umherrschwirrt, wieder. Großartig.
Garden City Movement
Ein gehäufter Esslöffel „Foals“, ein paar Gramm „Metronomy“ und eine kleine Messerspitze „Prince“ – fertig.
Neomi Hashmonay
Die Überraschung auf der kleinen „Elephants“-Bühne. Für mich die „Sade“ Israels!
Jeronimo
„Rage Against The Machine“ machen schon Laune, aber irgendwer hat vergessen, deren Sound in das neue Jahrtausend zu transportieren. Gut, dass sich Jeronimo darum kümmern.
Häxxan
Pogo, Energie, gute Laune und manchmal etwas Krach. Klasse!
Flora
Diese Show hat mich von Song zu Song mehr in den Bann gezogen. Großartige Melodien, manchmal fragil, oft tanzbar und absolut charmant.
Dank der vielen tollen, überaus offenherzigen und spendablen Menschen komme ich an keinem der zweieinhalb Tage vor 4 Uhr ins Bett. Das wiederum befindet sich diesmal in einem Kibbutz, das sind kleine, autonome und gesicherte israelische Dörfer, namens Ze’aalim. Die dortige Bungalowanlage „Orim Lodge“ samt Pool und großartigem Hot-Pot mit Wasser aus einer tiefen, heißen Quelle ist recht neu und nur wenige Autominuten vom Festival entfernt.
Mit müden Augen (eines davon tränend) verlasse ich das Festival am letzten Tag gegen Mittag. Ich habe das Gefühl, den Israelis näher gekommen zu sein. Wir haben zusammen geredet, Musik gehört, getrunken und gefeiert. Das ist das Schöne am Reisen; diese ungewissen Momente, in denen das sich Treibenlassen wichtiger ist als die Öffnungszeiten einer prächtigen Kathedrale.
Ich empfehle jedem, der auch nur das Geringste für Reisen und Musik übrig hat, sich eine Karte für das nächste Jahr zu besorgen.
Jerusalem
Den letzten halben Tag verbringe ich in Jerusalem - und bin verblüfft, wie stark sich diese Stadt von Tel Aviv unterscheidet. Jemand meinte zu mir, Jerusalem sei „das Disneyland für Gläubige“ – und er sollte Recht behalten. Der Glaube ist hier omnipräsent, der gesamte Tagesritus, die Gebäude, die Stadt, die Luft ordnen sich der Religion unter. Prachtvoll auch das Stadtpanorama, das mit den Strahlen der untergehenden Sonne golden schimmert.
Wir wandern durch die schmalen Gassen, auf denen Jesus einst sein Kreuz getragen haben soll, und sehen tausende Jahre alte Steine, Fliesen und Bauten. Am beeindruckendsten ist jedoch die Klagemauer. Wir kennen sie aus dem Fernsehen, wo wir Männer mit oder ohne religiöse Trachten mit geschlossenen Augen in Anklage und Buße versunken sehen.
Doch steht man mittendrin kommt die Gänsehaut: Selten habe ich mich derart beeindruckt und gleichzeitig unwohl erlebt. Der Glaube, die Kultur – alles, was hinter all diesen Dingen steckt, die hier rituell zelebriert werden – sind ungreifbar weit weg von unserem Alltag.
Ich fühle mich wie im Zoo, mit dem Unterschied, dass ich im Käfig sitze. Auf Fotos verzichte ich aus Gründen des Respekts, und doch: Es ist eine einmalige Erfahrung, die sich in mein Hirn brennt und die ich jedem weiterempfehlen möchte.
Fazit
Schön, schöner - Israel!
Wer sich von seinen Vorbehalten befreit, dem öffnet sich ein Land voll kultureller Tiefe und einem offenen Geist, der dich zu jeder Zeit mit ebenso offenen Armen willkommen heißt. Beeindruckend auch das Festival mit seiner schier überwältigenden Vielfalt an israelischer Musik, die auch in unseren Kreisen viel mehr Beachtung verdient hat. Ich freue mich aufs nächste Jahr!
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Dank
Ein großer Dank gilt den tollen Organisatoren vom Israel Ministry of Tourism, unsere überaus freundlichen und allwissenden Guides sowie Amit Hevrony vom InDNegev-Festival, die mir zu jeder Zeit mit Rat und Tat zur Seite stand.
Hi ich bin Chris!
Ich bin Musiker, manage Künstler und liebe Sprachen. Als Restaurantkritiker interessiere ich mich außerdem für sehr gutes Essen – und da man das überall auf der Welt finden kann, reise ich auch gerne.
Das sagen unsere Leser
2 KOMMENTAREHannah
8. Dezember 2016 um 16:12 UhrHi!
Wow was für ein Beitrag!
Ich habe einmal im Urlaub die Israelische Band Acollective kennengelernt. Die Jungs sind einfach super, die gibts auch auf Spofity, vielleicht gefallen sie dir ja auch! Vielleicht waren sie auch Teil des Festivals?
Grüße!
Feli
19. Januar 2017 um 01:51 UhrWow! Das sieht extrem verlockend aus 🙂 Das Essen!!! Wirklich, wirklich super! Herzlichen Dank für den tollen Artikel!
Grüße aus Argentinien 🙂